Wir sind ständig „in Beziehung“. Der Mensch ist ein Beziehungswesen. Auch in Beratung oder Coaching.
„Meine ausgeprägte Überzeugung, dass zuerst der Aufbau einer Beziehung kommen sollte, rührt von den Erfahrungen mit der Arbeit in Organisationen her, die zuvor unter der Kuratel von expertenorientierten Beratern gestanden hatten, die formale Programme implementierten. Zu häufig sehe ich, dass nur wenig von dem erreicht wurde, was der Klient sich wünschte, obwohl sehr viel Geld ausgegeben wurde. Was mich wieder dazu zwingt, mich mit meiner eigenen Wirklichkeit auseinanderzusetzen, dass Hilfe erst dann möglich ist, wenn mit den verschiedenen Klienten, mit denen wir in Berührung kommen, die richtige Beziehung aufgebaut wurde. Und dass der Aufbau einer solchen Beziehung Zeit braucht und die richtige Einstellung auf Seiten des Helfers“.
Ed Schein
Mit folgendem Artikel möchte ich darlegen, dass die Art und Weise der Beziehung zwischen Menschen in der Beratung, im Coaching , in der Supervision ein wesentlicher Teil im Reflexionsprozess ist. Das heißt, wie zwei (oder mehr) Menschen sich begegnen, wie die Beziehungsebene sich gestaltet, ist entscheidend für das Ergebnis einer professionellen Beratung.
Grundlegend ist, dass Menschen soziale Wesen sind. Sie werden beziehungsangewiesen und beziehungsorientiert geboren. Sie lernen in Beziehungen zu anderen Menschen, wer sie sind, was sie schützt, wem sie vertrauen, was sie brauchen, was ihnen schaden kann.
In der jeweiligen sozialen Umgebung oder Umwelt kommt beruflicher oder privater „Druck“, dazu, der Anpassung signalisiert. Je nachdem, ob es ein erwarteter Druck ist, ein gedachter oder selbst konstruierter Druck oder ein (beruflicher) von außen verlangter Anpassungsdruck – wirkt dies jeweils auf uns als Personen mit ein. Und auch unser Bindungserleben im Säuglings – und Kleinkindalter prägt unsere Beziehungen. Denn was in Beziehungen erlernt wird, zeigt sich auch in Beziehungen. Es kann dann in Beziehungen wieder verlernt oder korrigiert werden. Menschen verändern sich in Beziehungen.
Der Prozess des Beziehungslernens ist biologisch. Er beginnt schon im Bauch der Mutter. Bereits das ungeborene Kind agiert und reagiert dort auf die Stimmungen, Gefühle, Befindlichkeiten der Mutter. Das biologisch angelegte „Bindungssystem“ prägt wie erwähnt bereits in ersten frühkindlichen Beziehungen bestimmte Bindungsmuster aus, vor allem „während des ersten Lebensjahres“. Erlebt das Kind hier zu wenig (für eine gute Entwicklung) adäquate Bindungssignale der engsten Bezugspersonen, sind Störungen damit angelegt. Das Bindungssystem oder Bindungsmuster „wandelt sich im Laufe der Zeit, bleibt aber in seinen Grundstrukturen in den meisten Fällen relativ konstant“, schreibt Lotte Köhler in ihrem Vorwort zu Karl Heinz Brischs Fachbuch „Bindungsstörungen“ und erinnert mit dem folgenden Zitat an den Psychoanalytiker John Bowlby, der die Bindungsforschung maßgeblich begründetet: „Die Bindungstheorie begreift das Streben nach engen emotionalen Beziehungen als spezifisch menschliches, schon beim Neugeborenen angelegtes, bis ins hohe Alter vorhandenes Grundelement. […] Trotz der großen Bedeutung des Nahrungs- und Sexualtriebes ist die Bindung, ihrer lebenswichtigen Schutzfunktion wegen, als solche eigenständig“ (John Bowlby).
In den Werken des Kinderarztes Remo H. Largo ist wiederum nachzulesen, dass diese Vorstellungen durch neuere Studien in ihrer Bedeutung erheblich abgeschwächt worden seien und „die Beziehungsfähigkeit eines Menschen … nicht unabänderlich in der frühen Kindheit festgelegt“ wird ( Babyjahre, S. 37,Ausgabe 08/2005, piper). Das bestätigt, spätere Beziehungserfahrungen können maßgeblich korrigierend wirken und das Bindungsverhalten kann sich entsprechend verändern. Was dabei welchen Einfluss hat, hat der Psychotherapeut Prof. Dr. Carl R. Rogers, Begründer der Gesprächspsychotherapie (außerhalb Deutschlands Klientenzentrierte Psychotherapie und später von Rogers selbst als PZA / Personzentrierter Ansatz bezeichnet) zum Beispiel auch in seinem wieder hochaktuellen Werk „Die Entwicklung der Persönlichkeit“ dargelegt. Die Sprache in diesem Buch ist selbst personzentriert und damit beispielhaft dafür, wie wohltuend eine wertschätzende, nicht bewertende, verbindende Sprache wirken kann.
Um so verständlicher oder nachvollziehbarer ist, dass professionelle Arbeit mit Menschen im beraterischen Kontext (wie im therapeutischen auch) auf eine gute, konstruktive, vertrauensschaffende Beziehungsebene angewiesen ist. Bindungsmuster der Beteiligten spielen eine Rolle, auch ohne dass sie explizit zum Ausdruck kommen müssen oder thematisiert werden müssten. Darüber braucht es ein Sich-bewusst-sein.
Damit professionelle Beratung (oder Betreuung!) gelingt, braucht es wiederum professionell (ausgebildete) Berater, die eine vertrauensvolle, authentische, achtsame und durchschaubare (transparente) Beratungsebene herstellen beziehungsweise anbieten können. Augenhöhe darf keine Floskel sein und Echtheit oder Wahrhaftigkeit des Beraters gehören zur professionellen Grundhaltung, wie sie die personzentrierte Grundhaltung nach Carl R. Rogers vorstellt. Der Wirkfaktor „Beziehung“ ist längst als der entscheidende Faktor in der beraterischen oder therapeutischen Arbeit anerkannt.
Dabei gilt, der Berater oder Therapeut macht ein Beziehungsangebot – was durch die Art und Weise geschieht, WIE er dem Klienten begegnet.
Das grundlegende Beziehungsangebot nach Rogers bringt mit sich, dass ein Gegenüber es für „ungefährlich hält, offen und ehrlich zu sein.“ Der Berater oder Therapeut muss hierzu eine ebenso empathische, akzeptierende wie echte Grundhaltung oder Präsenz zeigen können – nicht als freundlich-professionelle Fassade, sondern als tatsächliche Seinsweise. Denn Widersprüche im Innern der Person wirken in der Kommunikation nach außen immer mit als spürbare Inkongruenz. Nach Carl R. Rogers stellt sich somit die Frage: „Kann ich irgendwie so sein, dass der andere mich wirklich als vertrauenswürdig, verlässlich und beständig wahrnimmt?“ Was damit genau gemeint ist und wie ein Berater eine solche Haltung professionell erreichen kann, hat Rogers in seinen Werken ausführlich dargestellt. Die hier genannten Zitate stamme aus „Die Entwicklung der Persönlichkeit“ (16. Auflg., 2006, S. 64 f).
Der Organisationsentwickler und Organisationspsychologe Prof. Edgar H. Schein (auch er einst Student bei Rogers) und sein Sohn, der Organisationsberater Peter A. Schein, sprechen in Ihrem Buch „Humble Leadership“ davon, dass es sich bei „Führung“ (Leadership) immer um Beziehung handelt. Offenheit, Vertrauen und die zugrundeliegende entsprechende Beziehung sehen sie als das A und O erfolgreicher Führung: „Die traditionelle Managementkultur des 20. Jahrhunderts kann als eine transaktionale Ansammlung von Beziehungen zwischen festgelegten Rollen beschrieben werden (Ebene 1)“. Hinzu kommen müsse als Ebene 2 eine Beziehungskultur, die persönlich, vertrauensvoll und offen ist.
Carl R. Rogers Personzentrierter Ansatz, auch als der Beziehungsorientierte Ansatz beschrieben, gehört im Beratungssetting seit sehr vielen Jahren zur erfolgreichen (und wissenschaftsbasierten) Praxis. Analog zu diesem Ansatz beschreiben Schein und Schein auch für beziehungsbasierte Führung jene dazugehörenden und wesentlichen Parameter (s.o., 2019, EHP-Verlag, S.138 f) :
- eigene Urteile oder Vorurteile verbannen
- eigene Unwissenheit zulassen (d.h. offen zu bleiben)
- Neugier für das Gegenüber haben
- nicht diagnostizieren
- nicht durchschauen wollen
- nicht urteilen, sondern den anderen verstehen wollen
- und Empathie zulassen, aktivieren, entwickeln.